Teil 1: Interview Baukultur

„Es darf nicht nur um architektonische Vorzeigeprojekte gehen.“

Interview mit Dr. Anne Schmedding, Leitung Stiftungsprojekte Berliner Leben, und Harald Mair, Gründer von PROJEKT PRO, über ein zeitgemäßes Verständnis von Baukultur. 

Wohnanlage aus Holz.

Baukultur ist ja ein sehr abstrakter Begriff. Was bedeutet er eigentlich und welche Themen sind damit verbunden?

Dr. Anne Schmedding: Baukultur verbindet man meist mit ikonischen Bauten wie z.B. der Neuen Nationalgalerie von Mies van der Rohe in Berlin. Baukultur äußert sich aber auch in vielen Alltagsbauten. Es gibt baukulturell hochwertige Gebäude, die scheinbar klein und banal sind, aber genial in ihrer Einfachheit und Funktionalität. Sie prägen die Menschen, die sich in ihnen bewegen, in einem positiven Sinne.

Harald Mair: Wenn man sich internationale Bauausstellungen anschaut, dann glänzen diese oft nur durch Solitärgebäude. Es darf aber nicht nur um architektonische Vorzeigeprojekte gehen. Stattdessen ist zu berücksichtigen, ob dies positive Auswirkungen auf ein gesamtes Gebiet hat. Welche Auswirkungen haben Maßnahmen für die Menschen und die Veränderungen des Ortes. Die IBA Emscher Park 1987 ist hier ein positives Beispiel.

 

Welche Rolle spielt das Thema Nachhaltigkeit im Kontext der Baukultur?

Harald Mair: Die Minimierung der Klimaveränderung ist eine zentrale Aufgabe — für die Menschen, und im besonderen für die Architekten und planende Ingenieure. Es geht auch darum, das Bauen weiterzuentwickeln und die ökologischen und sozialen Aspekte stärker zu berücksichtigen. Das ist ein zunehmend wichtiger Teil hoher Baukultur.

 

Prof. Werner Sobeck, Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, hat sinngemäß gesagt: „Hört auf zu bauen!“ Er meinte damit, dass wir Häuser nicht mehr so bauen dürfen, wie die letzten 30 Jahre — unter dem Aspekt des Energieverbrauchs, des Materialverbrauchs und der Emissionen. Wie sehen Sie das?

Harald Mair: Darüber muss man nachdenken. Allein bei der Herstellung von Zement entstehen weltweit fast 3 Milliarden Tonnen CO2, in etwa die Hälfte der CO“-Emissionen aus dem Verkehr. Auch der Energieverbrauch ist beim Bauen verhältnismäßig hoch, wobei rund 50% als sog. "graue Energie" im Gebäude und dessen Materialien selbst und nicht im Betrieb steckt. Man sollte daher den stärkeren Einsatz lokaler Materialien und die Nutzung traditioneller, regionaler Baumethoden bedenken. Ein weiteres Thema sind Umnutzungen von Bauten anstatt abzureißen.

Dr. Anne Schmedding: Der ganze Bereich Umbau, Recycling und Wiederverwendung von Materialien muss eine größere Rolle spielen. Re-Use von Baumaterialien und ganzen Bauteilen ist ein möglicher Weg, um kreislaufgerecht und ressourcenschonend zu bauen. Das Baseler Architekturbüro in situ bildet z.B. quasi eine neue Fachdisziplin aus, die „Bauteiljägerin“: Wie bekomme ich vorhandene Bauteile ressourcenschonend eingebaut und wo bekomme ich sie her? Das sind sehr spannende Themen, die gerade erst am Anfang stehen.

 

Ist Baukultur in den Köpfen von Politik und Planern genügend präsent, oder muss sie noch stärker ins Bewusstsein gebracht werden?

Harald Mair: Die Bundesstiftung Baukultur zeigt ja schon seit längerem, dass der Staat dem Thema große Bedeutung beimisst. Auch in der Schweiz gibt es jetzt mit der Stiftung Baukultur Schweiz eine Institution, die eigene Projekte entwickelt mit Förderprogrammen und einem Zertifizierungssystem für hohe Baukultur. Die Austausch- und Vernetzungsplattform „Forum Baukultur“ bringt verschiedene Akteure zusammen und thematisiert neue Entwicklungen auf dem Gebiet. Man sieht also, wo es hingeht: Baukultur noch stärker zu thematisieren und deutlich umfassender zu verstehen.

 

Wird Baukultur künftig an Bedeutung gewinnen und stärker ins öffentliche Bewusstsein treten?

Dr. Anne Schmedding: Die pessimistische Vision ist: wir driften gesellschaftlich zwischen Arm und Reich weiter stark auseinander. Auf der einen Seite werden wir ganz herrliche und sehr grüne Stadtviertel haben, wo man am Wochenende auf den Biomarkt geht und nachhaltig lebt. Und auf der anderen Seite periphere Großwohnsiedlungen, wo einkommensschwache Schichten mit explodierenden Preisen klarkommen müssen und Wohnungsbaugesellschaften oder die öffentliche Hand nicht mehr viel Geld haben werden, um sich dort für Sanierung und Aufwertung engagieren zu können. Das könnte eine explosive Mischung werden.

Aber die optimistische Version ist, dass der Veränderungsdruck durch den Klimawandel zu mehr Stadtgrün führt, zu einer Verkehrswende mit alternativen Verkehrsmitteln und einer Stadt mit höherer Lebensqualität. Im besten Fall wird der aktuelle Veränderungsdruck der Baukultur in die Karten spielen und es wird viele positive Impulse geben.

 

Die Baubranche als Ganzes hinkt beim digitalen Wandel nach wie vor hinterher. Hier gibt es zahlreiche Potenziale, die nur darauf warten, gehoben zu werden. Wie sieht es beim Thema Baukultur aus? Birgt die Digitalisierung Möglichkeiten, diese zu fördern und zu entwickeln?

Dr. Anne Schmedding: Digitalisierung ist immer eine Chance, wenn man dadurch mehr Freiraum hat für andere Prozesse, die sich nicht digitalisieren lassen. Also beispielsweise für die Kommunikation zwischen Architekt und Bauherr. Es ist die direkte Kommunikation, in der gute Dinge entstehen können, neue Ansätze, Innovation und Baukultur. Wenn man Dinge automatisieren kann, erhält man einen Überblick den man braucht, um bessere Entscheidungen treffen zu können.

Harald Mair: Einer unserer Kunden hat das einmal so formuliert: PROJEKT PRO schafft Freiräume für das, was nur Menschen können. Das beschreibt es sehr gut. Unsere Software leistet keinen direkten Beitrag zur Baukultur, unterstützt aber den Planer in seinen Prozessen. Dadurch spart er Zeit, verhindert Fehler und verbessert die Kommunikation zwischen den Beteiligten. Wir halten dem Architekten also den Rücken frei, so dass er sich darauf besinnen kann, wofür er eigentlich steht und wofür er sich engagieren will. Deshalb sind wir auch Mitglied im Förderverein für die Bundesstiftung Baukultur. Wir wollen Architekten und Ingenieure in dem was sie tun unterstützen. Das war schon immer unsere Intuition.

 

Vielen Dank für das spannende Gespräch!

Dr. Anne Schmedding
Harald Mair

Dr. Anne Schmedding leitet seit 2020 die Stiftungsprojekte der Stiftung Berliner Leben. Zuvor war sie zunächst freie Mitarbeiterin und dann stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Bundesstiftung Baukultur. Gemeinsam mit Dr. Constanze von Marlin leitete sie seit 2011 das Büro schmedding.vonmarlin. für Forschung und Redaktion im Bereich jüngere Architektur- und Kunstgeschichte.

Harald Mair beginnt 1991 seine Karriere als Landschaftsarchitekt. 1992 gründet er das Unternehmen „mair pro“, unter dessen Dach er eine AVA- sowie eine Controlling-Software für Planer entwickelt und vertreibt. Das Portfolio wird im Folgenden zu einer ganzheitlichen Controlling- und Management-Lösung für Architekten und Ingenieure vervollständigt. 2013 folgt die Umfirmierung zur PROJEKT PRO GmbH, als deren Geschäftsführer Harald Mair bis heute tätig ist.

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Bauleiter bei der Baustellenbegehung.